Fachbeiträge zu Deerhounds

Selektion und Zucht in kleinen Populationen

Genetischer Flaschenhals
 

Seminar von Dr. Heinrich Binder, zusammengefasst von Renée E. Devaux

 

 

Ausgelöst durch verschiedene Fragestellungen im Vorstand des Deerhound-Clubs über Probleme, bei welchen die Vererblichkeit umstritten war, wurde am 16. März 2002 ein Seminar für Deerhound-Züchter, Deerhound-Besitzer und andere an Windhunden Interessierte organisiert, gehalten von Herrn Dr. Heinrich Binder, Tierarzt mit Nachdiplomstudium in Genetik und Tierzucht in den USA. Allen Teilnehmern wurden vorgängig drei Skripten zu den genetischen Grundlagen, zu Selektion und zur Zucht in kleinen Populationen zugeschickt, um die Arbeit und Diskussion auf bereits etwas höherem Niveau zu erlauben.

 

Dr. Binder warnte gleich zu Beginn davor, sich als Züchter nur auf den Inhalt eines einzigen Buches abzustützen, da die Details oft sehr widersprüchlich sind. Auch Fachpublikationen, die von Tierärzten ohne Beizug von Genetikern und dadurch meist ohne die notwenigen statistischen Abklärungen verfasst werden, vermitteln häufig einen sehr fundierten Eindruck, ohne aber den Anforderungen genügen zu können, d.h. häufig werden Fehlschlüsse gezogen.

 

Nach neuesten Erkenntnissen sind bei Säugetieren weit weniger Gene vorhanden als noch vor kurzem angenommen, nämlich nur ca. 30'000 bis 50'000. Dabei ist festzuhalten, dass jedes Säugergenom (Gen-Satz) einen gewissen Prozentsatz an Erbfehlern trägt.

 

Vererbung und Merkmalsgruppen

Leider ist die Mendelsche Regel nur bei den wenigsten Problemmerkmalen anwendbar, in den meisten Fällen ist die Vererbung deutlich komplexer, da es sich um Schwellenmerkmale resp. kontinuierliche Merkmale handelt. Schwellenmerkmale weisen für den Züchter unterscheidbare, qualitative Stufen auf, d.h. der Hund scheint entweder krank oder gesund, allerdings ergibt sich kein Mendelsches Vererbungsmuster, da die Merkmale von verschiedenen Genen beeinflusst sind. Darunter fallen viele so genannte Dispositionskrankheiten, deren Manifestation (Sichtbarwerden / Feststellbarkeit / Ausbruch) auch durch die Umwelt beeinflusst ist. Schwellenmerkmale zeigen sich wie gestufte Merkmale (Mendelsche Vererbung), ihr genetischer Hintergrund ist allerdings ähnlich der fliessenden, kontinuierlichen Verteilung/Erblichkeit, bei welcher verschiedene Ausprägungen feststellbar sind ( Beispiele für kontinuierliche Verteilung sind die Schulterhöhe, das Gewicht, Winkelungen, Leistungs- und Wesenseigenschaften). Allerdings gibt es auch Schwellenmerkmale, die sich in unterschiedlichen Ausprägungen bemerkbar machen können, z.B. die HD.

 

Die Problemmerkmale werden aber nicht nur nach ihrem Vererbungs- und Erscheinungsmodus eingeteilt, sondern zusätzlich in drei Gruppen, die die Problemeigenschaften selbst definieren:

  • Deformationen: durch gezielte Selektion provozierte, extreme Ausprägungen von Rassemerkmalen.
  • Dispositionen: erbliche Veranlagungen für Organfunktionsstörungen oder Krankheiten, deren Schweregrad durch Umwelteinflüsse mitbestimmt wird.
  • Erbdefekte: Organmissbildungen/-funktionsstörungen sowie Krankheiten, die durch ein einziges Defekten verursacht werden.

Da Dispositionserkrankungen und Deformationen mehrheitlich Schwellenmerkmale sind, stellen sie züchterische Knacknüsse dar.

 

Im Allgemeinen (nicht für eine spezifische Rasse) gilt:
 



Die
Inzuchtdepression ist die Folge von Inzucht. In den letzten 10 Jahren sind die meisten Rassen in eine kritische Inzuchtentwicklung hineingeraten. Die Inzuchtzunahme innerhalb der Rassen ist unausweichlich, da nach wenigen Generationen bereits alle Zuchttiere miteinander verwandt sind. In der 10. Generation sind 1024 Ahnen zu zählen, allerdings wurden vor 10 Generationen vielleicht gerade 100 Tiere in der Zucht eingesetzt. (Bewusst und kontrolliert eingesetzte Inzucht/Linienzucht ist kein zuchthygienisches Problem, da die Inzucht durch die Anpaarung eines nicht verwandten Tieres wieder verschwindet, falls die Population gross ist.) In kleinen Populationen ist der Anstieg des Inzuchtgrades unausweichlich und führt zu einem Punkt, wo die negativen Folgen sichtbar werden: am besten sichtbar wird dies bei der Abnahme der Lebenserwartung und der Wurfgrösse.
 

Ne : effektive Populationsgrösse                    DF : Inzuchtanbindung

 

Um die negative Entwicklung aufzuhalten, müsste:

-          die Zuchtpopulation vergrössert werden, insbesondere müssten möglichst viele verschiedene männliche Tiere eingesetzt werden.

-          die Reinzucht unter kontrollierten Bedingungen aufgebrochen werden. Die SKG hat einer Züchterin ein solches Projekt bewilligt. (Anmerkung der Berichterstatterin: Deerhound-Leute erinnern sich u.U. daran, dass Miss Nobles durch den Kennel Club genehmigte Anpaarung einer Deerhound-Hündin mit einem Greyhound-Rüden zumindest in Deutschland noch heute von Zeit zu Zeit Wogen der Entrüstung auslöst!)

-          die extreme Aufsplitterung der Rassehundepopulation in viele ähnliche Rassen rückgängig gemacht werden.

 

Werden verschiedene Linien mit Inzuchtanbildung (mehrere Generationen Geschwisterpaarung) gekreuzt, kann dies optimalerweise auch zu einem Heterosiseffekt führen und für einige Generationen „ideale Hunde“ hervorbringen. Dieser „Effekt“ müsste aber von Zeit zu Zeit wiederholt werden.

Werden Linien immer wieder gemischt, werden sich die Linien auch nicht sehr unterscheiden und es kommt deshalb zu keinem Heterosiseffekt.

Sehr interessant – aber trügerisch - ist die Tatsache, dass eine Population ein umso heterogeneres Bild zeigt, je homocygoter sie ist, da in diesem Fall die Umwelteinflüsse eine umso grössere Rolle spielen!

 

Heritabilität h2 (Erblichkeit einer Eigenschaft/eines Merkmals)

-          hoch, d.h. 40-50%: Exterieur, Körperformen etc. Kann durch Einzeltiere beeinflusst werden.

-          mittel, d.h. ~20%: Körpergewicht, HD, Rennleistung; bei Nutztieren Milchleistung etc. Beeinflussung nur über Zuchtwertschätzung.

-          Tief, d.h. <10%: Krankheitsresistenz, Fruchtbarkeit etc. Beeinflussung nur mit sehr grossem Aufwand möglich, falls ganze Rasse einbezogen werden kann.

 

Zuchtwertschätzung

-          Bei messbaren Grössen am einfachsten

-          Nachkommenleistung (+ Elternleistung) am zuverlässigsten

-          Genetischer Wert des Einzeltieres hängt davon ab, was man aus der ZWS macht

-          Wert wird immer nur für ein Merkmal berechnet, der Züchter berücksichtigt aber für die Wahl eines Zuchttieres bis zu 50 Merkmale!

-          Falls > 5 Merkmale in der ZWS berücksichtigt werden -> Zucht kommt nicht vorwärts

-          Häufig sind Merkmale voneinander abhängig -> es muss entschieden werden, welches Merkmal wichtiger ist, und entsprechend selektioniert werden.

 

Problemliste für eine bestimmte Rasse

-          Treten bei verschieden Rassen Krankheiten/Symptome mit dem gleichen Namen auf, handelt es sich nicht zwingend um dieselbe Krankheit!

-          In verschiedenen Publikationen werden u.U. ganz verschiedene Schlüsse gezogen, v.a. wenn keine Genetiker beigezogen werden.. Beispielsweise wurde Epilepsie mehrfach als autosomal rezessiv vererbt publiziert, was aber nicht zwingend so ist. Es wurde keine diesbezügliche Wahrscheinlichkeitsprüfung gemacht.

-          Bei der PRA (progressiven Retina-Atrophie, einer Augenerkrankung, die in der Regel zu Blindheit führt) sind bisher ca. 8 verschiedene Formen mit ebenfalls verschiedenen Erbgängen bekannt.

-          Je nachdem, ob es sich bei einem Erbfehler/Merkmal um ein gestuftes Merkmal (Mendel), Schwellenmerkmal oder kontinuierliches Merkmal handelt, muss eine andere Strategie angewendet werden, um eine Linie oder Rasse zu verbessern. Beim Mendelschen Erbgang sollten auch die Eltern von der Zucht gesperrt werden und die Geschwister eines befallenen Tieres nach Möglichkeit nur unter Vorbehalt eingesetzt werden dürfen. Bei Schwellenmerkmalen sollten betroffene Tiere möglichst nicht in die Zucht kommen, hingegen ist es in kleinen Populationen nicht adaequat, auch verwandte Tiere auszuschliessen.

 


Problemliste Deerhounds

(soweit im Deerhound-Club der Schweiz bekannt)

 

 

-          Osteosarkome

-          Dilatative Kardiomyopathie

-          Magendrehung

-          Porto-Systemic Shunt

-          Analbeutelentzündungen/-infekte

-          Neck pain

-          Kryptorchismus

-          Hautallergien

-          Epilepsie

-          Hypothyreose

-          Addison

-          Cushing

-          Tumoren allg.

-          Pankreatitis

-          Cystinurie

-          Hypophysärer Zwergwuchs

-          Prostatitis

-          Scheinträchtigkeit

-          Pyometra

-          Everted third eyelid

-          Perinealhernien

-          Zahnfehler

-          woolly coat

-          Haarlosigkeit

 

 

Zuchtstrategien

Beim Menschen sind bisher 3'000 bis 5'000 Genstellen definiert, davon sind einige hundert mit einer Krankheit liiert. Bei den Tieren können die Studien aus finanziellen Gründen meist nicht bis ins letzte Detail fortgeführt werden, deshalb wird versucht, Analogien zwischen Mensch und Tier zu ziehen.

 

Das Erbmaterial sämtlicher Hunde ist zu 99.9% identisch!

 

Die Vererbungsgesetze bestimmen die Zuchtmethoden, die bekannten Informationen, z.B. der Zuchtwert, dienen als Mittel. Genanalysen werden in Zukunft einen immer wichtigeren Beitrag zur Auswahl von Zuchttieren leisten können.

Bei allen nicht eindeutig als monogenetische Erbfehler nachgewiesenen Gesundheitsproblemen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein gesundes Tier genetisch besser veranlagt ist als Tiere, die erkranken, maximal so hoch wie die Heritabilität für das Merkmal. Die Heritabilität ist selten höher als 20 – 30%, die Sicherheit daher niedrig.

 

Züchten bleibt deshalb ein kreativer Vorgang, bei welchem das Gespür des Züchters eine wichtige Rolle spielt!